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Der amerikanische Agent Kostas Kouvaras 1944 im Agrafa-Gebirge

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2022-08-09 2022-08-09 09.08.2022
Agrafa Gebirge 0003
Agrafa-Gebirge

Das Ágrafa-Gebirge ist eine Bergkette in Mittelgriechenland (das südliche Ende des Pindos). Es gibt dort sieben Berggipfel mit einer Höhe von mehr als 2.000 Metern.
Während der deutschen Besatzung Griechenlands war das Ágrafa-Gebirge eine der bedeutendsten Gegenden des griechischen Widerstands. Hier war die nationale Volksbefreiungsarmee ELAS aktiv, deren Aktionen die Gegend von Ágrafa zu einem der ersten befreiten Gebiete Griechenlands machten.
Am 10. März 1944 gründeten die nationale Befreiungsfront EAM und deren bewaffneter Arm, die griechische Volksbefreiungs-Armee (ELAS) in Viniani (Evrytania/Mittelgriechenland) das Politische Komitee der Nationalen Befreiung (Πολιτική Επιτροπή Εθνικής Απελευθέρωσης, PEEA), das auch als „Bergregierung“ bekannt geworden ist. Die PEEA hatte Ende Mai 1944 beschlossen, sich in eine sicherere Gegend zurückzuziehen, da es Informationen über einen bevorstehenden Angriff der deutschen Truppen auf die Dörfer Evrytanias gab. Als neuer Sitz der Bergregierung und ihrer politischen und militärischen Dienststellen wurde das in 1200 m Höhe gelegene Dorf Petrílo oder Petrília im Ágrafa-Gebirge ausgesucht. Die Einwohner der sechs Ortsteile von Petrílo (Kampouréika, Mágeiros, Kraniá, Chalkiópoulo, Vasiládes, Róssi) unterstützten gastfreundlich die Mitglieder der Bergregierung und stellte Häuser und Unterkünfte für sie und ihre Dienststellen zur Verfügung.

 

Kostas Kouvaras 0003

Der amerikanische Staatsbürger Kóstas Kouvarás (mit griechischer Abstammung) kam im Frühling 1944 als Offizier des militärischen Nachrichtendienstes OSS (Office of Strategic Services) nach Griechenland und hatte sich dem Zentralkomitee der EAM angeschlossen. Seine Mission hatte den Namen “Perikles“ und er hatte den Auftrag, der amerikanischen Dienststelle in Kairo militärische, politische und wirtschaftliche Informationen zu übermitteln. Während der Besatzung Griechenlands hat er acht Monate bei den griechischen Andarten verbracht und war nach der Befreiung Griechenlands noch weitere neun Monate in Griechenland.

Seine Erlebnisse in Griechenland hat er 1976 in seinem Buch „OSS – με την Κεντρική του ΕΑΜ” in Form eines Tagebuchs veröffentlicht. Den Tagebucheintrag vom 28. Juli 1944 gebe ich hier in deutscher Übersetzung wieder.

Die Veränderungen, die der Krieg bewirkt, sind offensichtlicher in einem kleinen Dorf wie diesem, in dem wir jetzt wohnen, fast im Zentrum der unzugänglichsten Gegend der Bergkette Ágrafa. Das Dorf lernt in diesen Tagen viele und vielseitige Neuerungen kennen. Die Andarten haben diese Welt zum ersten Mal mit der Zivilisation in Kontakt gebracht! In gewisser Hinsicht kam die Zivilisation auf einmal und wird verschwinden, sobald wir von hier weggehen. Das Dorf, das gerade mal hundert Häuser hat, ist heute ausgestattet mit einem Generator, zwei Rundfunkgeräten und drei tragbaren Funksendern, einem griechischen, einem amerikanischen und einem russischen. Alle diese Güter der Zivilisation – wenn es Güter sind – sehen die Einwohner zum ersten Mal.
Als in den letzten Tagen der elektrische Strom eingerichtet wurde und wir nach der Dämmerung die Lampen anmachten, schlüpften die Kinder auf das obere Stockwerk, wo wir wohnten, oder standen draußen vor unserem Fenster und betrachteten stundenlang das Wunder. Eine alte Frau kam hoch, um es zu sehen und zu glauben und blieb mit offenem Mund stehen! Das einzige, was sie ergriffen herausbringen konnte, war: „Ja! Ja! Ja!“. Danach brachte jemand eine tragbare Lampe, richtete die Glühbirne auf sie und schaltete sie plötzlich an. Instinktiv blies die alte Frau, um sie zu löschen. Alle lachten und die alte Frau raffte sich ratlos auf und verschwand.

Kostas Kouvaras 0001
Kostas Kouvaras

Das sind die greifbaren Güter der Zivilisation, die wir hierher gebracht haben, die wir wieder mit uns nehmen werden, wenn wir gehen, und die vielleicht niemand mehr wiedersehen wird in diesen Dörfern, in Petrília. Es gibt aber auch einige schwer fassbare Elemente, die unsere Anwesenheit gebracht hat, und die, wie es scheint, längere Zeit den Menschen hier erhalten bleiben werden. Die Vorstellung eines besseren Lebens, einer angenehmeren Weise, Dinge zu erledigen, die Vorstellungen über die gesellschaftliche Stellung der Frauen, die hier wie Lebewesen nur wenig höher als Tiere angesehen werden und fast die Behandlung von Tieren haben. Einige der sozialistischen und kommunistischen Frauen und einige junge Andartinnen hatten die Gelegenheit, mit den Frauen aus der Gegend über die Gleichheit der Geschlechter zu sprechen. Natürlich konnten viele von der Dorfbevölkerung auch mit ihren eigenen Augen sehen, wie sich die Fremden verhielten, und das war das beste Vorbild.
Neulich hielt es Barba-Kóstas nicht aus mitanzusehen, wie unser Hauswirt den ganzen Tag lang nur herumsaß, während seine Frau die Arbeit eines Mannes machte und das Haus kalkte. Er rief beide deshalb getrennt nacheinander zu sich und las ihnen ein wenig die Leviten. Er sagte zum Mann, was seine Pflichten seien und zur Frau, was ihre Rechte seien. Solche Erziehungsmaßnahmen werden schnell eine Art Aufstand hervorrufen und dies wird ein wahrer Segen für die Frauen sein, die sich heute bei der Arbeit abrackern und unter der Ausbeutung stöhnen.
Der größte, wenngleich auch nur zeitweilige Segen in dieser Gegend war aber die Anwesenheit einiger Ärzte, von denen einige sehr bekannte Professoren der Athener Universität sind. Diese Ärzte sitzen nicht mit verschränkten Armen da. Sie versorgen die Kranken, die sonst tagelang auf Maultieren sitzend hätten reisen oder vor sich hinsiechen müssen. Schwerste Operationen erfolgen jetzt hier mit primitiven chirurgischen Instrumenten und ohne Betäubungsmittel, doch sie erfolgen dennoch durch erfahrene Hände und so werden Leben gerettet.
Was auch immer passieren wird, wenn wir weggehen, die Dinge werden in Petrília nicht mehr dieselben sein. Einige werden die Betten verwenden, die wir da lassen werden und ein anderer wird sich vielleicht ein Batterieradio in naher Zukunft kaufen. Einige Frauen werden ihre Kinder besser waschen und ernähren. Und viele werden sich um ärztlichen Rat bemühen. Doch diese Menschen werden vielleicht nie mehr Funkstationen oder elektrisches Licht sehen oder Universitätsprofessoren, die auf grobgefertigten Bauerntischen operieren, und sie werden wahrscheinlich keine amerikanischen, britischen oder russischen Offiziere sehen, die ihre Nase überall hineinstecken und ihre Lebensweise kritisieren.